“Vorfreude spielt eine grosse Rolle beim Reiseglück.”
Warum macht uns das Träumen von einer Reise glücklicher als die Reise selbst? Warum bleiben einem gerade die schwierigen Reiseerlebnisse so stark in Erinnerung? Und wie können Routinen uns dabei helfen, uns fern von zu Hause wirklich wohlzufühlen? Wir haben mit Martin Tušl, PhD, gesprochen, Postdoktorand in Arbeitspsychologie am Departement Public & Global Health der Universität Zürich. Gemeinsam tauchen wir ein in die psychologischen Dynamiken des Reisens – die schönen, die schwierigen und die überraschend bedeutsamen.
“Vorfreude spielt eine grosse Rolle beim Reiseglück.”
Warum macht uns das Träumen von einer Reise glücklicher als die Reise selbst? Warum bleiben einem gerade die schwierigen Reiseerlebnisse so stark in Erinnerung? Und wie können Routinen uns dabei helfen, uns fern von zu Hause wirklich wohlzufühlen? Wir haben mit Martin Tušl, PhD, gesprochen, Postdoktorand in Arbeitspsychologie am Departement Public & Global Health der Universität Zürich. Gemeinsam tauchen wir ein in die psychologischen Dynamiken des Reisens – die schönen, die schwierigen und die überraschend bedeutsamen.
Kannst du uns ein wenig über deinen Hintergrund erzählen und was dich dazu gebracht hat, Psychologie zu studieren?
Ich komme aus Tschechien und arbeite als Postdoktorand in Arbeitspsychologie an der Universität Zürich, mit Schwerpunkt auf der Förderung der psychischen Gesundheit von Arbeitnehmenden. Mein Interesse an Psychologie begann schon in der High School, als ich einen Wahlkurs zu diesem Thema belegt habe. Besonders spannend fand ich die Geschichte der Psychologie und die Vielfalt der psychologischen Theorien – das hat mich dazu bewegt, Psychologie an der Karls-Universität in Prag zu studieren.
Nach meinem Masterabschluss habe ich fast zwei Jahre an der Universität Bologna in Italien gearbeitet, wo mein Interesse an Arbeitspsychologie noch stärker wurde. Schliesslich bin ich nach Zürich gezogen, um meine Doktorarbeit am Department of Public & Global Health der Universität Zürich zu beginnen – in der Abteilung für Public and Organizational Health unter der Leitung von Georg Bauer. Meine Promotion habe ich 2023 abgeschlossen und arbeite seither als Postdoktorand weiter in diesem Bereich.
Wie wirkt sich Reisen auf die mentale Gesundheit aus – sowohl positiv als auch negativ?
Reisen kann ganz unterschiedliche Auswirkungen auf unsere psychische Gesundheit haben – oft positive, manchmal aber auch herausfordernde.
Auf der positiven Seite bietet Reisen die Möglichkeit, zu entspannen und dem Alltagsstress zu entkommen, besonders dann, wenn es sich um eine Freizeitreise handelt. Wenn wir aus dem Arbeitsalltag und unseren Routinen ausbrechen, schaffen wir Raum zum Durchatmen und Auftanken. Ausserdem erweitert Reisen unseren Horizont: Wir begegnen neuen Menschen, lernen andere Kulturen kennen und sammeln Erfahrungen, die bereichernd und geistig anregend sein können.
Gleichzeitig bringt uns Reisen aber auch aus unserer Komfortzone. Plötzlich befinden wir uns in ungewohnten Umgebungen, und vieles liegt nicht in unserer Kontrolle – sei es unerwartetes Wetter, ungewohntes Essen oder logistische Herausforderungen wie verspätete Flüge. Diese unvorhersehbaren Elemente können spannend sein, aber eben auch Stress verursachen – besonders dann, wenn nicht alles nach Plan läuft.
Was sind die häufigsten psychischen Herausforderungen, mit denen Reisende konfrontiert sind?
Die meisten kennen dieses Gefühl zwischen Vorfreude und Nervosität, das mit dem Reisen einhergeht. Jede Reise bringt ein gewisses Mass an Unsicherheit mit sich – vor allem, wenn es in unbekannte oder als „exotisch“ empfundene Länder geht. Für Alleinreisende oder Menschen auf längeren Geschäftsreisen ist Einsamkeit eine der häufigsten Herausforderungen. Sie zeigt sich oft in kleinen Alltagsmomenten – etwa, wenn man allein zu Abend isst oder sich wünscht, einen besonderen Augenblick mit jemandem teilen zu können. An einem Ort zu sein, an dem man niemanden kennt, kann befreiend wirken – aber eben auch isolierend.
Eine weitere grosse Herausforderung ist der Umgang mit Erwartungen. Oft malen wir uns die Reise im Vorfeld in den schönsten Farben aus: das perfekte Hotel, traumhafte Strände, atemberaubende Landschaften. Doch die Realität sieht manchmal anders aus: das Zimmer entspricht nicht den Fotos, die Umgebung ist laut oder das Wetter spielt nicht mit. Wenn wir uns im Voraus mit einigen Strategien auf diese Möglichkeiten vorbereiten, können wir Enttäuschungen besser auffangen.
Auch soziale Medien spielen eine Rolle. Wenn wir endlich in den Ferien sind, verspüren viele den Druck, zeigen zu müssen (gegenüber anderen, aber auch uns selbst), dass wir jeden Moment geniessen. Doch Reisen ist nicht immer ein einziges Highlight. Es gibt auch anstrengende Phasen, schwierige Tage oder Momente, in denen man sich überfordert fühlt. Auch das gehört dazu.
Und nicht zuletzt wird manchmal vergessen, dass auch die Rückkehr emotional herausfordernd sein kann – vor allem nach längeren Reisen. Wieder in den Alltag zu finden, kann sich seltsam oder sogar traurig anfühlen. Ich selbst habe dieses „Post-Travel-Blues“-Gefühl schon einige Male erlebt – besonders nach längeren Auslandsaufenthalten während des Studiums. Zu wissen, dass das normal ist, kann den Übergang ein wenig erleichtern.
Lass uns noch ein wenig beim Thema Erwartungen und Post-Travel-Blues bleiben. Es gibt spannende Forschung dazu: Einige Studien (z. B. Westman & Eden, 1997; Westman & Etzion, 2001) zeigen, dass Erschöpfungssymptome oft schon wenige Wochen nach der Rückkehr auf das Niveau vor den Ferien zurückkehren. Wie kann man die positiven Effekte einer Reise möglichst lange erhalten?
Eine hilfreiche Strategie ist, sanft in den Alltag zurückzufinden. Anstatt zum Beispiel erst am Sonntagabend zurückzukommen und am Montagmorgen gleich wieder zur Arbeit zu gehen, kann es sinnvoll sein, einen Tag früher heimzureisen. Schon ein einziger Puffertag kann einen grossen Unterschied machen: Man hat Zeit, in Ruhe anzukommen, auszupacken, über die Erlebnisse nachzudenken und langsam wieder in die gewohnte Routine einzutauchen. Diese Zeit lässt sich auch dafür nutzen, Fotos anzuschauen oder Reisegeschichten mit anderen zu teilen – so kann man die Erinnerungen noch ein bisschen länger geniessen.
Eine weitere Möglichkeit, die positiven Effekte des Reisens zu verlängern, ist, sich immer wieder etwas in Aussicht zu stellen – selbst, wenn es nur ein kurzer Wochenendausflug ist. Vorfreude spielt eine grosse Rolle beim Reiseglück. Regelmässige kleine Auszeiten über das Jahr verteilt können oft hilfreicher sein als monatelang auf die einen grossen Ferien zu warten. Sie bieten uns wiederkehrende Momente zum Auftanken, Abschalten und um uns selbst ausserhalb des gewohnten Umfelds neu zu begegnen.
Eine Studie aus dem Jahr 2010 mit dem Titel „Vacationers Happier, but Most Not Happier After a Holiday“ hat gezeigt, dass Menschen kurz vor einer Reise am glücklichsten sind – und nicht währenddessen. Warum ist das so?
Das liegt wahrscheinlich an der Vorfreude und unseren Erwartungen. Allein die Aussicht auf eine Auszeit kann schon lange vor Beginn der Reise ein Gefühl der Erleichterung auslösen. Der Gedanke an die Ferien wird zu einer Art mentalem Fluchtort aus dem Alltagsstress. Wenn die Reise dann aber tatsächlich beginnt, entspricht die Realität oft nicht ganz dem idealisierten Bild, das wir uns vorher gemacht haben.
Viele Menschen bleiben auch in den Ferien gedanklich mit der Arbeit verbunden – sei es durch E-Mails, offene Aufgaben oder weil es schwerfällt, wirklich abzuschalten und sich zu entspannen. Der Druck, die wenigen Ferientage möglichst sinnvoll zu nutzen, kann zusätzlichen Stress verursachen – vor allem, wenn die Erwartungen zu hoch oder zu idealistisch sind. Dazu kommen noch organisatorische Herausforderungen während der Reise und das ungewohnte Gefühl bei der Rückkehr ins Arbeitsleben.
All das zeigt, warum die Glücksgefühle nach den Ferien oft nicht mit der Vorfreude davor mithalten können. Kürzere, dafür regelmässigere Auszeiten in Kombination mit realistischen Erwartungen können langfristig besser für unsere Erholung und unser Wohlbefinden sein.
Einige Reisende suchen gezielt extreme Herausforderungen – etwa, indem sie abgelegene Wanderwege begehen oder risikoreiche Sportarten ausüben. Was treibt Menschen aus psychologischer Sicht dazu, ihre Grenzen auf Reisen auszutesten? Kann diese Art des Reisens zur mentalen Widerstandsfähigkeit und persönlichen Entwicklung beitragen?
Oft hängt das mit unserer Motivation zusammen und damit, was wir uns von der Erfahrung erhoffen. Für manche geht es um Spass, Freude und Aufregung – das ist eher die hedonische Seite des Wohlbefindens. Für andere geht es eher um das tiefere Gefühl der Erfüllung, das sich einstellt, wenn man an seine Grenzen stösst, als Person wächst oder etwas persönlich Bedeutsames erreicht, was eher zum eudaimonischen Wohlbefinden gehört. Solche Erfahrungen können die Resilienz stärken, das Selbstvertrauen fördern und sogar unser Selbstbild verändern.
Ich persönlich habe grosse Freude am Rennradfahren – das ist ein fester Bestandteil meiner Ferien. 100 Kilometer oder mehr durch die Berge zu fahren, klingt für manche vielleicht extrem, aber für mich ist es eine Quelle von Freude und Herausforderung zugleich. Ich mache das vor allem, weil ich es liebe – es ist etwas, das ich aus purer Freude am Radfahren tue. Das nennt man intrinsische Motivation: Man tut etwas, weil es sich an sich gut und sinnvoll anfühlt.
Aber heutzutage spielt auch extrinsische Motivation eine Rolle – also die Motivation, Dinge zu tun, um Anerkennung, Lob oder Likes in den sozialen Medien zu bekommen. Plattformen wie Instagram oder Strava können dazu führen, dass sich der Fokus von der persönlichen Freude an der Erfahrung darauf verlagert, wie es für andere aussieht. Diese extrinsische Motivation ist nicht per se schlecht, aber sie kann dazu führen, dass man sich aus den falschen Gründen überfordert – oder Erfahrungen nachjagt, die sich am Ende gar nicht erfüllend anfühlen.
Eine herausfordernde Reise kann also durchaus zur mentalen Resilienz und persönlichen Entwicklung beitragen – aber der Schlüssel liegt im Warum. Wenn die Motivation von innen kommt und die Erfahrung mit unseren Werten und unserem inneren Kompass übereinstimmt, dann ist es viel wahrscheinlicher, dass sie unser Wohlbefinden stärkt und nachhaltige positive Effekte hat.
Es gibt auch Studien, die zeigen, dass Menschen trotz negativer Erlebnisse während ihrer Reise im Nachhinein positiv auf ihre Ferien zurückblicken und sie als schöne Erfahrung beschreiben. Warum ist das so?
Ja, das ist tatsächlich ein sehr spannendes Phänomen. Eine unangenehme Erfahrung bedeutet nicht automatisch, dass die ganzen Ferien ruiniert sind. Wenn wir unterwegs mit unerwarteten Herausforderungen konfrontiert sind – etwa ein Unwetter während einer Wanderung –, dann entspricht das vielleicht nicht unseren ursprünglichen Vorstellungen. Aber wenn wir solche Situationen meistern, vor allem mit jemandem, der uns nahesteht, werden diese Momente oft als bedeutungsvoll und erinnerungswürdig empfunden.
Die Selbstbestimmungstheorie (Self-Determination Theory of Human Motivation) bietet hierfür eine psychologische Erklärung. Solche intensiven Erlebnisse können unsere grundlegenden psychologischen Bedürfnisse erfüllen – und genau deshalb fühlen sie sich im Nachhinein sinnvoll an, statt einfach nur frustrierend. Wenn wir zum Beispiel in einer schwierigen Situation auf unsere eigenen Fähigkeiten zurückgreifen, erleben wir ein starkes Gefühl von Kompetenz – also das Empfinden, fähig und wirksam zu sein. Das ist ein zentrales menschliches Bedürfnis und trägt direkt zu unserem Wohlbefinden bei. Oft ist auch das Gefühl von Autonomie beteiligt – wenn wir selbst Entscheidungen treffen, Pläne anpassen oder bewusst darauf reagieren, was passiert. Diese Selbstbestimmung, selbst in schwierigen Momenten, macht die Erfahrung besonders zufriedenstellend.
Und wenn wir solche Herausforderungen gemeinsam mit jemandem meistern, stärkt das unser Gefühl von Verbundenheit – das Bedürfnis nach Nähe und sinnvollen Beziehungen. Gemeinsam durch schwierige Situationen zu gehen, kann deutlich verbindender sein als einfach nur entspannt am Strand zu liegen.
Deshalb erinnern wir uns oft gerade an die nicht perfekten, aber intensiven Momente besonders gern. Sie haben uns lebendig, fähig und verbunden fühlen lassen – und das hinterlässt einen bleibenden emotionalen Eindruck. Ich selbst habe das beim Radfahren oft erlebt. Es gibt Momente, in denen ich völlig erschöpft und hungrig bin, aber noch einen langen Weg bergauf vor mir habe. In dem Moment würde ich nicht sagen, dass ich glücklich bin. Aber im Nachhinein denke ich oft: „Das war grossartig!“ Solche Erinnerungen bleiben – gerade, weil sie nicht einfach waren. Und wenn man sie mit anderen teilt, werden sie umso stärker.
"Digital Nomads" und Vielreisende verwischen oft die Grenze zwischen Arbeit und Freizeit. Welche Strategien können helfen, damit Reisen eine Quelle der Erholung bleibt – und nicht zu einer weiteren Stressquelle wird?
Der nomadische Lebensstil klingt nach ultimativer Freiheit – die offene Strasse, ein Laptop, ständig neue, spannende Orte. Aber dieser Lebensstil bringt auch eine Menge Druck mit sich. Ein oft unterschätzter Stressfaktor ist die sogenannte "decision fatigue"(Entscheidungsmüdigkeit). Wenn jeder Ort eine Option und jeder Tag völlig offen ist, können die unzähligen Entscheidungen schnell überfordern. Fragen wie „Soll ich bleiben oder weiterziehen?“ ("Should I stay, or should I go?") erzeugen eine permanente Unsicherheit darüber, wo man eigentlich sein möchte – und ob man gerade am „richtigen“ Ort ist. In solchen Situationen kann es helfen, bewusst Grenzen zu setzen – etwa wie oft man den Standort wechselt – und sich kleine persönliche Routinen zu schaffen: wöchentliche Anrufe mit Freund:innen oder Familie, Besuche im selben Café. Solche Rituale bringen Struktur in ein sonst sehr wechselhaftes Leben.
Wie du schon sagst, liegt eine weitere Herausforderung in den verschwimmenden Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit. Wenn das Büro gleichzeitig die Airbnb-Wohnung oder ein lautes Café ist, wird es schwierig, gedanklich abzuschalten. Wir Menschen sind Gewohnheitstiere – und Routinen geben uns Halt. Klassische Büros bieten klare Hinweise: Wenn man dort ist, ist Arbeitszeit. Doch wenn man ständig den Ort wechselt – vom Café zur Bibliothek zum Flughafen –, fehlt genau diese Struktur. Und dann wird es schwierig, Arbeit und Erholung voneinander zu trennen.
Einfach umsetzbare Strategien wie z. B. E-Mails nur noch am Laptop (nicht am Handy) zu checken oder sich feste Arbeitszeiten zu setzen, können helfen, klare Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit zu schaffen – und so langfristig das mentale Gleichgewicht zu wahren.
Reisen bedeutet oft, die eigene Komfortzone zu verlassen. Gibt es eine ideale Reiseform für Menschen mit generalisierter Angststörung oder sozialen Unsicherheiten?
Reisen bringt fast immer ein gewisses Mass an Nervosität mit sich – selbst für erfahrene Reisende. Für Menschen mit Ängsten, insbesondere sozialer Angst, ist es wichtig, den Druck rauszunehmen und klein anzufangen. Es muss nicht gleich der Langstreckenflug oder ein Abenteuer in völlig unbekannter Umgebung sein. Auch eine kurze Reise, ganz in der Nähe, kann bereits ein bedeutungsvoller und gut bewältigbarer erster Schritt sein. Die Schweiz bietet viele wunderschöne Reiseziele, ohne dass man sich mit einer völlig fremden Sprache oder Kultur auseinandersetzen muss.
Hilfreich ist es auch, mit jemandem zu reisen, bei dem man sich sicher und wohl fühlt. Eine enge Freundin oder Freund kann das Gefühl von Sicherheit und geteilter Verantwortung geben – und das macht vieles leichter.
Angst verstärkt sich oft durch Unsicherheit – daher kann vorausschauende Planung helfen, ein Gefühl von Kontrolle zu schaffen. Eine grobe Struktur – zum Beispiel zu wissen, wie die Reiseroute aussieht, wo man übernachtet und wie man sich fortbewegt – nimmt einen grossen Teil der mentalen Belastung weg. Natürlich lässt sich nie alles zu 100% planen, aber ein bisschen Vorbereitung kann Stabilität schaffen.
Am Ende sollte Reisen Freude machen – nicht zu viel Stress verursachen. Es gibt kein „richtiges“ Reisen. Wichtig ist, das eigene Tempo zu finden und herauszufinden, was sich gut und machbar anfühlt.
Wie wichtig sind Routinen beim Reisen – und wie kann man sie aufbauen?
Routinen können auf Reisen eine wertvolle Quelle der Stabilität sein. Sie geben Struktur und ein Gefühl von Kontrolle – und genau das kann helfen, die Reise berechenbarer und damit angenehmer zu machen.
Dabei müssen Routinen gar nicht kompliziert sein. Sie können schon vor der Reise beginnen – etwa mit einer Packliste, die man ein paar Tage im Voraus erstellt, oder mit einer kleinen Recherche zum Reiseziel und zum Ablauf der Reise. Auch während den Ferien kann es hilfreich sein, bestimmte Gewohnheiten aus dem Alltag beizubehalten – vor allem solche, die dem eigenen Wohlbefinden guttun. Dazu gehören zum Beispiel feste Schlaf- und Essenszeiten oder kleine Rituale wie der morgendliche Spaziergang, eine Joggingrunde oder ein paar Seiten im Buch vor dem Einschlafen. Solche vertrauten Routinen wirken wie ein Anker und helfen uns, auch in neuer Umgebung bei uns selbst zu bleiben.
Welche Strategien helfen Reisenden, auch unterwegs mental in Balance zu bleiben?
Ich glaube, das Wichtigste ist, mit sich selbst und den eigenen körperlichen und emotionalen Bedürfnissen in Verbindung zu bleiben. Je achtsamer wir wahrnehmen, was in uns vorgeht – körperlich wie mental – desto besser können wir darauf reagieren.
Dabei geht es nicht zwangsläufig gerade um Meditation. Oft reicht es schon, regelmässig innezuhalten und sich zu fragen: Wie geht es mir gerade? Welche Gedanken tauchen auf? Habe ich genug geschlafen? Bin ich hungrig? Solche einfachen Check-ins helfen dabei, die Stimmung zu regulieren und verhindern, dass kleine Unannehmlichkeiten überwältigend werden.
Menschen unterscheiden sich auch darin, wie viel Struktur oder Vorhersehbarkeit sie brauchen. Manche fühlen sich wohler, wenn sie drei Stunden vor Abflug am Flughafen sind, andere kommen gut damit klar, erst im letzten Moment durch die Sicherheitskontrolle zu hetzen. Solche persönlichen Vorlieben zu erkennen und bewusst in die Reiseplanung einzubeziehen, ist ein wichtiger Teil der emotionalen Selbstfürsorge. Letztlich geht es darum, Bedingungen zu schaffen, die einem selbst ein Gefühl von Sicherheit und Wohlbefinden geben.
Wohin wird sich die Forschung über psychische Gesundheit und Reisen deiner Meinung nach in Zukunft entwickeln?
Eine besonders spannende Gruppe, über die wir auch schon gesprochen haben, sind die digital nomads, also digitale Nomad:innen. Manche würden widersprechen, aber ich sehe sie als eine vulnerable Gruppe. Wer ständig unterwegs ist, bewegt sich oft ausserhalb der eigenen Komfortzone und hat nur eingeschränkten Zugang zu stabilen sozialen Ressourcen wie engen Freundschaften oder einem verlässlichen Unterstützungsnetzwerk.
Ein weiterer spannender methodischer Ansatz ist das sogenannte Ecological Momentary Assessment – also kurze Umfragen, die Menschen in Echtzeit und in ihrer aktuellen Umgebung beantworten. Dadurch kann man psychische Gesundheit nicht nur im Rückblick erfassen, sondern genau in dem Moment, in dem die Reiseerlebnisse passieren. Das eröffnet ganz neue Einblicke darin, wie sich Reisen wirklich auf das Wohlbefinden auswirken. Ich führe aktuell ein Projekt mit Berufstätigen durch, bei dem ich genau diese Methode nutze, um tägliche Aktivitäten mit dem subjektiven Wohlbefinden zu verknüpfen.
Ein letztes Thema, das ich erwähnen möchte, ist nachhaltiges Reisen. Immer mehr Menschen achten auf ihren CO₂-Fussabdruck – das wirft spannende Forschungsfragen auf: Wie beeinflusst bewusstes Reiseverhalten, etwa innerhalb des eigenen Landes zu bleiben oder langsamere, umweltfreundlichere Verkehrsmittel zu wählen, unser Wohlbefinden? Die Schnittstelle zwischen Nachhaltigkeit, Reiseverhalten und psychischer Gesundheit wird in Zukunft sicher noch wichtiger.
Und zum Schluss noch eine persönliche Frage: Wie sorgst du selbst auf Reisen für dein mentales Wohlbefinden?
Ich glaube, ich wende vieles von dem an, worüber wir heute gesprochen haben. Zum Beispiel versuche ich, auch unterwegs gewisse Routinen beizubehalten. Etwas, das ich immer mache: Ich packe grundsätzlich am Tag vor der Abreise – selbst, wenn ich erst am Abend losfahre. Ich habe gemerkt, dass ich über Nacht oft noch an Dinge denke, die ich sonst vergessen hätte. Dieses kleine Gefühl von Kontrolle hilft mir, innerlich ruhiger zu sein.
Ausserdem versuche ich, meine Bewegungsroutine aufrechtzuerhalten, weil körperliche Aktivität für mein Wohlbefinden eine grosse Rolle spielt. Wenn ich mich nicht bewege, neige ich eher dazu, schlechte Laune zu haben. Auch wenn ich geschäftlich reise, habe ich deshalb immer meine Laufschuhe dabei. Wenn ich gestresst bin, weiss ich, dass mir das Laufen hilft – und wenn es mir gut geht, macht es alles noch besser.
Ich achte auch bewusst darauf, was das Ziel der Reise ist. Die meisten meiner Ferien sind mit Aktivitäten verbunden, die ich liebe, wie Radfahren oder Skifahren. Aber für mich ist auch wichtig, Zeit mit Menschen zu verbringen, die mir nahestehen. Da ich im Ausland lebe, reise ich zum Beispiel oft zu den Feiertagen nach Prag. Nicht, weil ich dort etwas Neues erleben will, sondern weil es mir wichtig ist, mit den Menschen in Kontakt zu bleiben, die mir etwas bedeuten – das ist essenziell für meine psychische Gesundheit.
Vielen Dank für das spannende Gespräch und alles Gute!
Interview: Sofia Ricar