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«Die Tropen kommen zu uns!» – Was bedeutet das für uns?

Im Gespräch mit Prof. Dr. med. Jan Fehr - Teil 2

 

Prof. Dr. med. Jan Fehr ist Facharzt für Innere Medizin und Infektionskrankheiten mit langjähriger Erfahrung in den Bereichen HIV/AIDS, Hepatitis und Tuberkulose mit Schwerpunkt auf Global Health Challenges. Derzeit ist er Leiter des Departements für Public & Global Health am Institut für Epidemiologie, Biostatistik und Prävention der Universität Zürich.

 

«Die Tropen kommen zu uns!» – Was bedeutet das für uns?

Im Gespräch mit Prof. Dr. med. Jan Fehr - Teil 2

 

Prof. Dr. med. Jan Fehr ist Facharzt für Innere Medizin und Infektionskrankheiten mit langjähriger Erfahrung in den Bereichen HIV/AIDS, Hepatitis und Tuberkulose mit Schwerpunkt auf Global Health Challenges. Derzeit ist er Leiter des Departements für Public & Global Health am Institut für Epidemiologie, Biostatistik und Prävention der Universität Zürich.

 

Das Zentrum für Reisemedizin steht seit seiner Entstehung in den 80er Jahren im Dienste der öffentlichen Gesundheit, aber der Fokus ändert sich. Kümmerte man sich früher vor allem um das Wohlergehen der Reisenden in tropischen Ländern, wird dieses Feld heute im Sinne von ‘Global Health and Mobility’ breiter gedacht. Die Gesundheit von Migrant:innen wird zum Thema und durch die Klimaerwärmung ist es auch für die lokale Bevölkerung in der Schweiz wichtig, Massnahmen gegen tropische Krankheiten zu entwickeln.

Wir haben uns zusammengesetzt mit Prof. Dr. med. Jan Fehr, Infektiologe und Departementsleiter Public & Global Health am Institut für Epidemiologie, Biostatistik und Prävention der Universität Zürich.

In diesem zweiten Teil sprechen wir über die Entstehung der Reisemedizin in der Schweiz, wie die aktuelle Weltsituation sich auf die Gesundheit des Individuums auswirkt und warum es die Schweizerin und den Schweizer wohl oder übel zu interessieren hat, welche Auswirkungen das eigene Verhalten auf der anderen Seite der Welt auslöst - denn die Tropen kommen zu uns!

Tauchen Sie ein in die dynamische Welt der Reisemedizin und finden Sie heraus, warum Ärzt:innen auch Aktivist:innen sein müssen.

 

Haben Sie den ersten Teil noch nicht gelesen? Hier geht’s zum Artikel.

 

Wir haben darüber gesprochen, was die Schweiz und ihre Institutionen zu den grossen Gesundheitsthemen der Welt beitragen kann. Kommen wir aber auf einen unserer Aufträge hier am Departement zurück. Du hast zu Beginn erklärt, dass Du hierhergekommen bist, weil viele Gesundheitsthemen zusammenkommen und diese gewinnbringend gemeinsam zu etwas Neuem weiterentwickelt werden können. Beginnen wir aber ganz am Anfang: Was ist denn Reisemedizin und weshalb gibt es das hier in der Schweiz?

Die moderne Reisemedizin hat ihre Gründung in Zürich 1988 erlebt. Mein Vor-Vorgänger Prof. Robert Steffen[1] hat hier zusammen mit der CDC[2] den ersten reisemedizinischen Kongress einberufen und damit pionierhaft etwas aufgenommen, was bereits in der Luft lag. Ab den 70er Jahren wurden Fernreisen zusehends erschwinglicher und dadurch kam in den drauffolgenden Dekaden der Massentourismus auf. Mehr Leute konnten es sich leisten wegzufliegen, und ihre Gesundheit in den Sub-Tropen und Tropen wurde zum Thema.

Eine Zunahme zeigte sich aber nicht nur bei Ferienreisenden. Durch vermehrten internationalen Handel stieg auch der Anteil an Business-Reisenden.

 

Um diese Leute hat man sich hier zu kümmern begonnen?

Genau, das ist die klassische Reisemedizin: Vorbereitung vor Abreise, wozu je nach Destination eine Malariaprophylaxe dazu gehört, Reiseimpfungen und Auffrischung der Grundimpfungen, wie z.B. gegen Masern, sowie wertvolle Hinweise, wie man sich sonst noch schützen kann. Zu dieser Vorbereitung gehören auch Informationen dazu, was zu tun ist, wenn man unterwegs oder nach der Reise zurück in der Schweiz plötzlich erkrank. Dies geht aber über Infektionskrankheiten hinaus. Für Expeditionsreisende kann auch die Höhenmedizin oder Tauchmedizin dazugehören. Denn ab 2500 m.ü.M. besteht das Risiko der Höhenkrankheit.

Weltweit zeichnen sich aber rasant neue Entwicklungen ab, welche für die Gesundheit global und auch individuell enorme Herausforderungen bedeuten. Darauf müssen und wollen wir reagieren. Dies bedeutet, dass die klassische Reisemedizin breiter gedacht und erweitert werden muss, hin zu Global Health and Mobility (Globale Gesundheit und Mobilität). Damit geben wir uns die Chance Themen aufzugreifen, die mit Public sowie Global Health zusammenhängen.

Das schliesst zum Beispiel die Leute mit ein, die nicht unterwegs sind, weil sie das möchten, sondern weil die Lebensumstände oder die politische Situation sie dazu zwingt, ihre Heimat zu verlassen. Wir wollen uns in Zukunft auch um die Personen kümmern, die von anderen Regionen der Welt, vor allem aus dem globalen Süden, zu uns kommen. Wir sprechen hier also von «Migrant Health» («Migrationsgesundheit»). Wir haben bereits damit begonnen mit der NIIDS[3] Studie und wir werden das weiter ausbauen. Hier zeichnet sich eine Versorgungslücke ab. Basierend auf Erkenntnissen aus Studien und in enger Zusammenarbeit mit Betroffenen, hoffen, wir eine lückenlose medizinische Versorgung aufbauen zu können

Ganz im Sinne einer lebendigen Universität, nahe der Bevölkerung: Antworten auf wichtige Fragen finden, Gelerntes umsetzen und die Erkenntnisse auch wieder mit anderen Fachpersonen teilen. Wir nennen das science to practice («von der Wissenschaft in die Praxis”) und science to policy («von der Wissenschaft in die Politik»). Das möchten wir hier leben.

 

Also verändern sich die Begrifflichkeiten überall entsprechend einer global vernetzteren Welt in eine globalere und inklusivere Richtung? Von Public Health zu Global Health, von Travel Medicine zu Mobility Medicine?

Richtig. Wir erlauben uns damit ein breiteres Mindset. An dieser Stelle möchte ich nochmals darauf zurückkommen, dass nicht nur Menschen, sondern auch Krankheitsüberträger (sogenannte Vektoren) wie Mücken und Pathogene unterwegs sind. Diese können sich bei veränderten klimatischen Bedingungen, dann auch z.B. in Mitteleuropa etablieren.

Beispielsweise wurde das West-Nil-Virus das erste Mal letztes Jahr im August in einer Stechmücke im Tessin entdeckt. Dieses Virus kommt ursprünglich aus der West-Nil Region in Uganda und die Krankheit, welche daraus entsteht, war somit eine klassische Tropenkrankheit. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis hier der erste Fall im Menschen auftritt. Ich rechne dieses Jahr mit einem ersten Fall in der Schweiz. Deutschland hatte 2019 in Leipzig bereits den ersten Fall. Mit anderen Worten: Die Tropen kommen zu uns.

Eine andere klassische Tropenkrankheit ist Dengue. In den vergangenen Jahren gab es beispielsweise aus Südfrankreich immer wieder Berichte von Dengue-Fälle bei Menschen, welche nicht gereist sind.

Die Ausbreitung von Vektoren und Pathogenen beobachten wir als Infektiolog:innen und als Reisemediziner:innen am Zentrum für Reisemedizin sehr genau. Wir machen uns auch Gedanken zu Massnahmen dagegen. Ähnlich der Wettervorhersage wird die Vorhersage zu weiteren Entwicklungen in den kommenden Jahren an Bedeutung zunehmen.

 

Eine Frage aus persönlichem Interesse: Wie findet man einfach so eine Mücke mit West-Nil-Virus? Werden die einfach ab und zu gesammelt und getestet?

Die Tessiner sind hier vorbildlich. Sie haben ein ganzes Monitoring-System aufgebaut. Im Übrigen hatten wir auch hier bei uns in Wollishofen Tigermücken. Die hat man gefunden, weil man Fallen aufgestellt hat. Auch beim Busbahnhof beim Hauptbahnhof Zürich, wo die Flixbusse abfahren, wurden Fallen aufgestellt. Es gibt eine kantonale Stelle, die sich darum kümmert.

 

 

«Die Fachstelle Schädlingsprävention und -beratung des Umwelt- und Gesundheitsschutzes Zürich ist eine der vier offiziellen Meldestellen für invasive Mücken in der Schweiz. Sie nimmt in dieser Funktion Mücken-Meldungen aus dem ganzen Kanton Zürich sowie den Kantonen Appenzell Ausserrhoden, Appenzell Innerrhoden, St. Gallen, Schaffhausen, Thurgau und Zug entgegen.»

«Wer eine Tigermücke auf dem Stadtgebiet findet, kann diese im Internet unter www.zueriwieneu.ch oder in der App «Züri wie neu» melden. Sichtungen im übrigen Kanton können auf der Webseite www.muecken-schweiz.ch gemeldet werden.»[4]

 

Jetzt möchten wir noch den Bogen schlagen von den grossen Konzepten wie One Health, Planetary Health, Global Health, welche wir im ersten Teil des Interviews besprochen haben, hin zum Individuum und dem Fokus in diesem Teil: Mobilität und Gesundheit. Unser Thema dieses Monats ist «Responsible Global Citizenship»[5]. Was heisst das und warum ist es wichtig?

Ein:e ‘Weltbürger:in, welche:r Verantwortung für sein/ihr Tun übernimmt’ (responsible world citizen) gründet meiner Meinung nach in der banalen Erkenntnis, dass wir alle auf dem gleichen Planeten leben und damit so umgehen, dass sowohl Mit- und Umwelt wie auch zukünftige Generationen einen lebenswerten Raum vorfinden.

 

Wie wird man zu einem «Responsible World Citizen»?

Erst einmal muss man sich dafür interessieren – es ist einem nicht einfach egal wie es anderen Menschen geht, anderen Lebewesen und der Umwelt. Und wenn wir über globale Gesundheit reden: man muss sich globalen Gesundheitsproblemen stellen und sich damit auseinandersetzten wollen.

Man muss sich bewusstwerden, dass man als Individuum etwas tun kann. Man kann sich bei jeder Handlung im Alltag aktiv Gedanken machen. Das beginnt bereits morgens beim Aufstehen. Bei den Kleidern, die man anzieht und die man irgendwo gekauft hat. Man kann sich überlegen, wo und unter welchen Bedingungen diese produziert worden sind. Da sind wir wieder beim Thema equity. Man kann sich fragen, wie langlebig die Kleider sind und ob sie Mikroplastik produzieren. Dann geht’s weiter zum Frühstück. Man kann hinterfragen, ob eine Avocado auf dem Teller sein muss oder ob es eine Frucht aus dem Garten auch tun würde und vielleicht sogar noch besser schmeckt, da einfach ultimativ frisch. Man kann all diese Sachen wahrnehmen, oder eben auch nicht. Ein gewisses Bewusstsein, eine Sensitivität und ein Wille sind dabei notwendig.

Man muss sich also dafür interessieren, sich einen Spiegel vorhalten und alles hinterfragen. Das klingt anstrengend. Wie viel Verantwortung darf und soll auf dem Individuum liegen?

Das ist eine philosophische Frage und da gibt es sicherlich Leute die besser antworten können als ich. Ich kann es aber mit einer Antwort versuchen: Ich glaube, das ist eine Wahl. Möchten wir auf die aktuelle Situation reagieren? Machen wir den Effort noch einigermassen rechtzeitig zu reagieren oder verschliessen wir die Augen, schauen der globalen Erwärmung einfach zu bis gewisse Erdteile gar nicht mehr bewohnbar sind? Das wird übrigens eine enorme Migrationswelle auslösen und das Klima wird auch bei uns so dermassen aus dem Gleichgewicht geraten, dass wir mit existenziellen Problemen zu kämpfen haben werden, von Bergstürzen und enormer Trockenheit bis hin zu Hochwasser.

Im Endeffekt braucht uns die Erde nicht und wenn man es aus dieser Sicht betrachtet, dann kann man es auch lassen mit dem Handeln. Man muss sich einfach fragen, was man am Ende will.

Aber die Indikatoren sind klar. Die Wissenschaft ist sich einig. Die Erderwärmung ist nicht wegzudiskutieren und es ist eigentlich auch klar, was man machen muss. Die Net Zero-Ziele werden überall diskutiert. Die grosse Frage, die umgeht, ist, wie man die Änderung im Verhalten hinbekommt. Wie kann das ganz praktisch im Alltag gelingen? Schön ist es immer, wenn man es irgendwie so machen kann, dass man Leute dazu einlädt und das Individuum Teil einer gesellschaftlichen Bewegung wird, welche ein gemeinsames Ziel verfolgt. Mit den Fridays for Future bis hin zu den Klimagrosseltern wurde ein Grundstein dazu gelegt. Wenn eine Bewegung dann in eine neue gesellschaftliche Norm übergeht, haben wir es geschafft.

 

Gibt es ein Beispiel für eine solche Veränderung, welche letztendlich eine neue Norm wurde?

Es gab Zeiten, als man in den Beizen noch geraucht hat. Heute kann man sich das kaum mehr vorstellen. Wenn man heute versuchen würde das wieder einzuführen, würden sich alle an den Kopf fassen. So kann man gewisse gesellschaftliche Normen setzen, ungeschrieben oder noch besser geschrieben und damit institutionell verankert.

Schlussendlich ist das aber eine Wertediskussion. Hier sind wir ganz tief in der Gesellschaftsdiskussion: Was ist einem was wert? Wofür steht man ein, wofür gibt man Geld aus, wo investiert man Zeit und Energie? Nehme ich mir die Zeit fürs nachhaltige Reisen und nehme ich, wo dies möglich ist, den Zug in entfernte Länder oder muss ich immer möglichst rasch am Zielort sein und entscheide mich fürs Flugzeug?

Das sind Diskussionen, welche wir halten müssen und wo wir in unseren Positionen auch gefordert sind Alternativen zu zeigen. Und die Alternativen müssen attraktiv sein. Kommen wir z.B. zurück aufs Reisebeispiel: Können künftig die Zugreisen wieder so unkompliziert und angenehm wie möglich sein, beginnt die Erholung bereits am HB Zürich bei Abfahrt. Dass dies nicht nur theoretisch so ist, zeigt sich am Trend der enormen Nachfrage nach Nachtzügen, welche schon Monate im Voraus ausgebucht sind.

 

Du hast das Thema Reisen angesprochen – wo siehst Du Möglichkeiten «Responsible Global Citizenship» und Fernreisen mit grossem ökologischem Fussabdruck in Einklang zu bringen? Ist dies nicht ein Widerspruch?

Menschen werden immer reisen respektive unterwegs sein: freiwillig oder weil sie müssen. Diejenigen, die dies freiwillig tun, z.B. als Ferien, die können sich beispielsweise überlegen, wie oft man wirklich weit wegfliegen muss und auch in welchem Arrangement: Will ich wirklich dreimal im Jahr nach Südostasien für ein paar Tage oder dann lieber einmal pro Jahr dafür etwas länger und auch wirklich in die Kultur dort eintauchen?

Ich glaube, dass es helfen kann, wenn wir als Reisende mit dem Bewusstsein des ökologischen Fussabdrucks unsere Reisen planen. Ich nenne dies nachhaltiges Reisen – vielleicht ein wenig vergleichbar mit ‘slow food’ oder eben ‘slow tourism’. Dazu kann auch gehören, dass wir uns überlegen, wie die Situation für die Arbeitnehmenden in der Tourismusbranche vor Ort ist. Wer bekommt wieviel vom Geld, welches wir für die Reise ausgeben? Wie gerecht wird dies verteilt? Und inwiefern kommt dies der Lokalbevölkerung zugute?

Gewisse Angebote sind viel zu billig, was in Widerspruch zu Nachhaltigkeit und sozialer Gerechtigkeit steht. Wir am ZRM wollen in Zukunft dazu beitragen, Reisende, denen Nachhaltigkeit ein Anliegen ist, zu unterstützen.

 

Ich möchte nochmals das Thema Klimakrise aufgreifen – wie können wir dieser begegnen?

Es existieren grundsätzlich zwei Ansatzpunkte: adaptation und mitigation, also Anpassung oder Entschärfung der bedrohlichen Entwicklung. Ich glaube wir müssen in unserem Rennen gegen die Zeit beides tun.

Einerseits müssen wir im Sinne der Mitigation versuchen das Übel an der Wurzel zu packen und unseren Lebensraum so weiterzuentwickeln, dass wir dazu beitragen, die Net Zero Ziele zu erreichen. Basel hat hierbei beispielsweise eine Vorreiter-Rolle eigenommen. Basel möchte bis 2037 das Net Zero Ziel erreicht haben, und die sind jetzt schon voll dabei.

Andererseits müssen wir im Sinne der Adaptation Sofortmassnahmen ergreifen, bei dauernd steigenden Temperaturen und steigenden Zahlen von Hitzetoden in den letzten Jahren. Betroffen sind v.a. ältere Menschen. Im Sommer müssen Räume zur Verfügung gestellt werden, wo man Schutz findet vor Hitze.

 

Fazit der ganzen Geschichte: Das Problem kann weder nur top down noch nur bottom up angegangen werden, sondern alle haben ihr Päckchen Verantwortung.

Genau. Das Fazit ist: multi-approaches on multi-levels (also mehrere Ansätze auf mehreren Ebenen) und zwar trans- und interdisziplinär, denn das sind Probleme in grossen und komplexen Systemen, die nach komplexen Lösungen verlangen.

 

Zum Abschluss: Warum liegt Dir dieses Thema so am Herzen?

Meine Karriere lief anders, als ich mir das vorgestellt hatte. Eigentlich ist meine Karriere schiefgelaufen (er schmunzelt), denn ich wollte immer Landarzt werden und mich für die Gesundheit von Leuten in abgelegenen Gebieten einsetzen bis hin zur Bergrettung. Diese Idee liess sich gut mit meiner Begeisterung für die Bergwelt verbinden. In den Bergen bin ich zu Fuss, am Fels, auf dem Velo oder den Skiern unterwegs.

In meinem Wahlstudienjahr arbeitete ich bei Dr. Bruno Durrer. Es gab damals nur zwei Ärzte in der Schweiz, die gleichzeitig auch Bergführer waren. Einer davon war Bruno Durrer, welcher u.a. für die Air-Glaciers im Einsatz war und der andere war Dr. Urs Wiget bei der Air Zermatt. Das hat mich absolut fasziniert.

Wir haben Helikopterrettungen in den Bergen durchgeführt. Wir mussten vom Mittagessen aufspringen, weil ein Notruf kam und der Helikopter uns hinter der Praxis bei einem kurzen Stop-over eingesammelt hat. Mir wurde gesagt, ich soll die Skier mitnehmen, denn nachdem die verunfallte Person eingeladen war, blieb kein Platz mehr für mich als assistierender Medizinistudent. Einsilbig sagte mir Bruno Durrer jeweils, ich solle dann einfach am Nachmittag wieder in der Praxis auftauchen. Irgendwo ausgesetzt, musste ich dann so den Weg auf den Skiern zurück in die Praxis finden.

Ich konnte also mein Hobby verbinden mit meiner Leidenschaft Patient:innen zu betreuten, die Leidenschaft sich für deren Wohl einzusetzen. Ich fand das grossartig und dachte, dies sei meine Zukunft.

 

Aber das war sie nicht.

Nein, ich gehöre zur Generation, welche durch das Thema HIV/AIDS enorm geprägt wurde und so kam ich dann zur Infektiologie. Das war damals eine Riesenherausforderung, viele Leute sind gestorben. Es war die Ära, in der die ersten Medikamente erschienen und man etwas anbieten konnte. Da wollte ich dabei sein und etwas beitragen.

Ich habe mich dann im Verlauf damit angefreundet, die ‘Bergrettungseinsätze’ zu ‘humanitären Einsätzen’ im Ausland auszuweiten.   Die Idee war, als Mediziner an MSF[6]-Einsätzen teilzunehmen. Stattdessen erhielt ich die Gelegenheit als angehender Infektiologe entsandt vom Swiss TPH[7] und dem Universitätsspital Basel nach Ifakara in Tanzania zu gehen. Der Auftrag an mich als junger wissenschaftlicher Mitarbeiter war es, eine Studie durchzuführen.

Dank den Studienerkenntnissen ist es uns gelungen die Infektionsrate nach Operationen im örtlichen Spital drastisch zu senken. Das hatte einen unmittelbaren Effekt für jeden einzelnen Menschen und gleichzeitig für die Bevölkerung in der Region, da wir am System etwas verbessern konnten. Ich habe erstmals verstanden, was Public Health bedeutet, und sah dies gleichzeitig im Kontext des globalen Südens.

Das hat mir dann den Ärmel reingenommen und Public Health, respektive Global Health, gekoppelt mit Wissenschaft und global responsibility (globaler Verantwortung), liessen mich bis heute nicht mehr los. Ich habe gesehen, dass Veränderungen möglich sind, wenn wir uns nur dafür einsetzen wollen.

 

Also bist Du eigentlich ein Aktivist.

Wahrscheinlich schon. Es gibt einen schönen Satz von Alex Coutinho, dem früheren Direktor des IDI[8]. In einem Interview mit dem Tagesanzeiger sagte er: «Ärzte müssen auch Aktivisten sein».

 

Das ist doch ein wunderbares Schlusswort. Vielen Dank für Deine Zeit, Dein Engagement und dieses aufschlussreiche Gespräch.

 

Im ersten Teil hat Jan Fehr erklärt, mit welchen komplexen Fragestellungen sich der Public Health Sektor beschäftigt, was es bedeutet riesige Systeme verändern zu wollen, wieso man Gesundheitsversorgung ganzheitlich denken muss und warum die Schweiz bezüglich Prävention noch in den Kinderschuhen steckt.

Kommen Sie mit auf eine Reise durch das verflochtene und fragile Netzwerk der globalen Gesundheit und erforschen Sie mit uns die Chancen, aber auch die Verantwortung der kleinen Schweiz bei diesen weltumspannenden Herausforderungen. Hier geht’s zum Artikel.

 

Interview: Cécile Rasi

 

 

[1] Prof. em. Robert Steffen

[2] Centers for Disease Control and Prevention: amerikanische Gesundheitsbehörde

[3] Novel integrated infectious diseases diagnosis and surveillance system

[4] Medienmitteilung Stadt Zürich, 2021

[5] Responsible Global Citizenship: «Verantwortungsvolle Weltbürgerschaft”

[6] Ärzte ohne Grenzen

[7] Schweizerisches Tropen- und Public-Health-Institut

[8] Infectious Diseases Institute

 

 

 

 

 

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