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"FSME in der Schweiz ist ein viel grösseres Problem, als den meisten Menschen bewusst ist."

Interview mit Dr. Kyra Zens, Teil 1

 

Dr. Kyra D. Zens ist Immunologin und Epidemiologin an der Universität Zürich. Sie untersucht, wie unser Immunsystem auf Infektionen und Impfungen reagiert und befasst sich mit der Durchimpfungsrate bei Erwachsenen in der Schweiz. Einer ihrer Forschungsschwerpunkte ist die durch Zecken übertragene Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME). Wir haben uns mit ihr zusammengesetzt, um mehr über das im Gras lauernde gefährliche Virus zu erfahren.

"FSME in der Schweiz ist ein viel grösseres Problem, als den meisten Menschen bewusst ist."

Interview mit Dr. Kyra Zens, Teil 1

 

Dr. Kyra D. Zens ist Immunologin und Epidemiologin an der Universität Zürich. Sie untersucht, wie unser Immunsystem auf Infektionen und Impfungen reagiert und befasst sich mit der Durchimpfungsrate bei Erwachsenen in der Schweiz. Einer ihrer Forschungsschwerpunkte ist die durch Zecken übertragene Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME). Wir haben uns mit ihr zusammengesetzt, um mehr über das im Gras lauernde gefährliche Virus zu erfahren.

Frühling ist Zecken-Saison und damit auch FSME-Saison. Was ist FSME und warum ist sie so gefährlich?

Das FSME-Virus gehört zur gleichen Familie wie die Viren, die Gelbfieber, West-Nil-Fieber, Dengue und Zika verursachen. Wie diese Krankheiten ist auch die FSME eine Erkrankung des zentralen Nervensystems (Gehirn und Rückenmark). Da es sich hierbei um sehr empfindliches Gewebe handelt, kann eine Infektion sehr schwerwiegend sein und Schäden mit Langzeitfolgen verursachen.

FSME wird durch ein Virus verursacht, das von Zecken übertragen wird. Das heisst, wenn wir von einer infizierten Zecke gebissen werden, kann das Virus auf uns übertragen werden. Da das FSME-Virus in den Speicheldrüsen der Zecken lebt, erfolgt die Übertragung unmittelbar nach dem Stich. Zum Vergleich: Die Bakterien, die Borreliose verursachen, leben im Darm der Zecke. Zur Übertragung müssen sich die Bakterien aus dem Darm lösen und zu den Speicheldrüsen und dann in unsere Haut wandern. Aus diesem Grund kann die Übertragung ein oder zwei Tage dauern und manchmal sogar verhindert werden, wenn die Zecke schnell entfernt wird.

 

Kann man beide Krankheiten gleichzeitig bekommen?

Die Zecken, die hierzulande FSME übertragen, können auch Borrelien-Bakterien in sich tragen. Es gibt hier zwar einige verschiedene Zeckenarten, aber die Ixodes Ricinus Zecke - gemeinhin als Holzbock bekannt - ist die häufigste, und sie kann viele Krankheiten übertragen.

 

FSME & Borreliose im Vergleich. Lesen Sie hier mehr!

 

Woher bekommen die Zecken die Krankheit?

Von Kleintieren. Für Borrelien gibt es eine größere Bandbreite an Nebenwirten als für das FSME-Virus, aber im Allgemeinen sind es kleine Säugetiere.

 

Heutzutage hört man viel über "One Health"-Ansätze. Wäre es in diesem Sinne möglich, die Wirte, also diese Tiere, zu impfen und so zu versuchen die Krankheit einzudämmen? Denn meine Katze könnte ja auch eine Zecke tragen, richtig?

Nun, die Hauptüberträger sind Mäuse.

 

Ah, das macht die Impfung etwas schwierig.

Genau. Für uns ist es wichtig, Antikörper zu haben. Wir gehen jedoch derzeit davon aus, dass ein Grossteil der Übertragung zwischen Mäusen nicht virämisch ist. Das bedeutet, dass diese Mäuse bereits zirkulierende Antikörper haben und das Virus nicht unbedingt vom Blut des Tieres auf die Zecke übertragen wird. Es scheint eher so, dass nebeneinandersitzende, blutsaugende Zecken, das Virus aufeinander übertragen, da sie mit infiziertem Speichel in Kontakt kommen.

Dazu gibt es mehrere Studien und es scheint ein wichtiger Übertragungsweg zu sein. Es ist jedoch nicht sehr gut erforscht und wird immer noch in Frage gestellt. Dennoch ist dies derzeit die vorherrschende Meinung und es gibt noch keine wirklich gute Möglichkeit, diese Art der Übertragung zu unterbrechen.

Es gibt einen weiteren - relativ seltenen - Übertragungsweg, bei dem der Mensch das Virus durch den Verzehr von nicht pasteurisierter Milch und daraus hergestellten Produkten wie Weichkäse bekommen kann. Wenn ein Tier gebissen wird, gibt es nämlich eine Virämiephase, in der das Virus in die Milch übertragen werden kann. Wenn diese Milch nicht pasteurisiert wird, kann es zur Infektion führen. Dies ist jedoch sehr selten, so dass ich es noch nicht für notwendig halte, alle Kühe in der Schweiz zu impfen :)

In manchen Gegenden versucht man, Zecken mit Pestiziden zu töten, aber das hat auch Nachteile. Pestizide können bei unsorgfältiger Anwendung in der Umwelt verbleiben und in unser Trinkwasser und unsere Lebensmittel gelangen. Ausserdem neigen sie dazu, mehr als nur das anvisierte Insekt zu töten. Das Fehlen dieser Insekten unterbricht die Nahrungskette für viele andere Tiere.

Kurzum: Die Bekämpfung des Virus in der Umwelt ist wirklich schwierig.

 

Übrigens:

Obwohl man umgangssprachlich von einem Zeckenbiss spricht, ist das wissenschaftlich nicht ganz korrekt. Es stimmt, dass die Zecke zuerst mit ihrem scherenartigen Mundwerkzeug in die Haut ihres Opfers eindringt. Um Blut saugen zu können, muss sie dann aber mit ihrem Stechrüssel zustechen. Korrekt ist also: Zeckenstich.

 

Was müssen unsere Leser über FSME in der Schweiz wissen?

FSME in der Schweiz ist ein viel grösseres Problem, als den meisten Menschen bewusst ist. Die Krankheit wurde erstmals in den 1970er Jahren im Nordosten des Landes gemeldet, hat sich aber seither weit verbreitet. Das liegt zum Teil an der bereits erwähnten Schwierigkeit die Ausbreitung der Zecken und der von Zecken befallenen Tiere, zu kontrollieren.

Die Schweiz ist zu einem der Länder mit dem höchsten FSME-Vorkommen in Europa geworden - die Erkrankungshäufigkeit ist ähnlich hoch wie in Lettland, Tschechien, Estland, Slowenien und Schweden. Sie liegt im oberen Bereich dessen, was weltweit beobachtet wird. Die meisten Gebiete des Landes gelten als Risikogebiete. Man muss hier also vorsichtig sein!

Da das Thema FSME in der Schweiz noch relativ neu ist, ist das Bewusstsein für die Krankheit noch nicht sehr ausgeprägt. Eine kürzlich durchgeführte Studie hat ergeben, dass das FSME-Bewusstsein in der Schweiz von allen endemischen Ländern Europas am geringsten ist.

 

 

Vor ein paar Jahren wurde über eine ungewöhnlich hohe Zahl von FSME-Fällen in Krankenhäusern berichtet und es schien, als ob von einem Jahr zum nächsten das ganze Land eine rote Zone war. Warum hat sich FSME plötzlich so schnell verbreitet?

Es handelt sich um eine Kombination von Faktoren und man vermutet, dass auch der Klimawandel eine Rolle spielt. Die Winter sind nicht mehr ganz so kalt und es gibt eine längere warme Jahreszeit, in der sich die Menschen draussen aufhalten. Da wir nicht viel gegen die Verbreitung infizierter Zecken in der Umwelt tun können, wird die Impfung umso wichtiger. Wenn wir das Virus in der Umwelt nicht kontrollieren können, müssen wir uns selbst schützen.

 

In welchen Regionen ist die Inzidenz am höchsten?

Zu den Regionen mit der höchsten Inzidenz gehören der Thurgau und St. Gallen, sowie Appenzell Ausserrhoden und Appenzell Innerrhoden. Das BAG hat dazu eine sehr gute Karte. Die Durchimpfungsrate ist in Zürich am höchsten, gefolgt von der Ostschweiz.

 

Die höchste Inzidenz liegt also im Nordosten, von wo aus sich die FSME ausgebreitet hat.

Das ist richtig! Die wenigsten Krankheitsfälle und die geringste Durchimpfungsrate haben wir dagegen in Genf und im Tessin. Die geringe Anzahl an neuen Fällen ist der Grund weshalb diese Kantone derzeit nicht als Risikogebiete ausgewiesen sind und es keine Impfempfehlung gibt.

Ich möchte aber auch darauf hinweisen, dass die Schweiz ein kleines Land ist und die Menschen viel herumreisen. Wenn man im Tessin wohnt und in der Nordschweiz wandern geht, ist man gefährdet. Das ist nicht so weit weg.

 

Ah, die Zecken haben die Berge noch nicht überquert.

Das passiert jetzt langsam. Es gibt Wildpfade, auf denen grosse Tiere durch die Alpen wandern und diese bringen Zecken mit. Sie verbreiten also Krankheiten entlang dieser Pfade.

BAG Karte zur FSME Impfempfehlung.

 

Wie gut schützt die Impfung wirklich und warum ist FSME auch für Reisende ein Risiko?

Das und mehr erfahren Sie im nächsten Teil.

 

 

 

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