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"Ich möchte, dass alle verstehen, dass es nie zu spät ist, sich impfen zu lassen!"

Interview mit Dr. Kyra Zens, Teil 2

 

Dr. Kyra D. Zens ist Immunologin und Epidemiologin an der Universität Zürich. Sie untersucht, wie unser Immunsystem auf Infektionen und Impfungen reagiert und befasst sich mit der Durchimpfungsrate bei Erwachsenen in der Schweiz. Einer ihrer Forschungsschwerpunkte ist die durch Zecken übertragene Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME). Wir haben uns mit ihr zusammengesetzt, um mehr über das im Gras lauernde gefährliche Virus zu erfahren.

 

Warum ist FSME in der Umwelt so schwer zu kontrollieren und wo ist das Risiko am höchsten? Erfahren Sie mehr im ersten Teil.

 

"Ich möchte, dass alle verstehen, dass es nie zu spät ist, sich impfen zu lassen!"

Interview mit Dr. Kyra Zens, Teil 2

 

Dr. Kyra D. Zens ist Immunologin und Epidemiologin an der Universität Zürich. Sie untersucht, wie unser Immunsystem auf Infektionen und Impfungen reagiert und befasst sich mit der Durchimpfungsrate bei Erwachsenen in der Schweiz. Einer ihrer Forschungsschwerpunkte ist die durch Zecken übertragene Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME). Wir haben uns mit ihr zusammengesetzt, um mehr über das im Gras lauernde gefährliche Virus zu erfahren.

 

Warum ist FSME in der Umwelt so schwer zu kontrollieren und wo ist das Risiko am höchsten? Erfahren Sie mehr im ersten Teil.

 

Sie haben kürzlich eine Studie zur FSME durchgeführt. Worum ging es dabei?

Wir haben gleich mehrere Studien zur FSME in der Schweiz durchgeführt. Wir interessieren uns vor allem für die Durchimpfungsrate. Es gibt zwei in der Schweiz zugelassene Impfstoffe zur Vorbeugung von FSME. Uns hat interessiert, wie viele Erwachsene in den verschiedenen Landesteilen geimpft sind und welche Faktoren die Impfung beeinflussen.

Wir haben auch die Wirksamkeit der Impfstoffe im Laufe der Zeit untersucht - also wie lange wir erwarten können, dass sie jemanden schützen.

 

Was haben Sie herausgefunden?

Wir haben festgestellt, dass etwa ein Drittel der Erwachsenen im Land vollständig geimpft ist [1]. Das ist je nach Region sehr unterschiedlich. In Regionen mit höherer Inzidenz ist auch die Durchimpfungsrate höher, was durchaus Sinn ergibt. Das spielt in die ganze Tatsache des Bewusstseins hinein.

Etwas frustrierend ist die Tatsache, dass man zwar erwarten würde, dass die Inzidenz in Regionen mit einer höheren Durchimpfungsrate zurückgeht, dies aber nicht der Fall ist. Das deutet darauf hin, dass die Durchimpfungsrate noch nicht hoch genug ist.

Eine weitere sehr wichtige Erkenntnis ist, dass die Sensibilisierung über das Thema einen sehr grossen Einfluss auf die Impfrate hat. Ungeimpfte Menschen geben an, dass sie das Gefühl haben, nicht ausreichend über die Krankheit informiert zu sein. Das ist völlig verständlich und es zeigt, dass FSME eine Krankheit ist, über die wir mehr reden müssen.

Viele wissen nicht, wie verbreitet und gefährlich FSME ist. Ich zum Beispiel habe einen Migrationshintergrund und komme aus einer Gegend, in der es keine FSME gibt. Und obwohl ich Infektionskrankheiten studiere, habe ich 2 Jahre in der Schweiz gelebt, bevor ich vom Arzt meiner Kinder von dieser Krankheit erfuhr! Man kann ein gebildeter, intelligenter Mensch sein und es einfach nicht wissen. Ich möchte, dass alle verstehen, dass es nie zu spät ist, sich impfen zu lassen!

 

[1]  Für die FSME-Impfung sind 3 Dosen innerhalb des ersten Jahres nach der Impfung und danach eine Auffrischung alle 10 Jahre erforderlich.

Andererseits scheint es so, dass wir bei vielen Routineimpfungen nicht immer ganz sicher sind, wogegen sie helfen. Auch da diese Krankheiten oft nicht mehr im Alltag präsent sind. Zum Beispiel Polio. Könnte es dann noch andere Gründe geben, warum viele sich nicht gegen FSME impfen lassen?

Ein weiterer Grund, der sich stark auf die Durchimpfungsrate auswirkt, ist das wahrgenommene Risiko. Wenn man viel drinnen ist und keine Hobbys im Freien hat, kann ich verstehen, dass man kein Risiko für FSME sieht und sich deshalb nicht impfen lässt.

 

Das ist nachvollziehbar. Aber ich habe von Eltern gehört, deren Kinder sich nur für ein paar Minuten ins Gras gesetzt haben und mit fünf Zecken zurückkamen. Sie scheinen also schnell zu sein. Die absolute Zeit im Freien, scheint nicht der einzige Faktor zu sein, nach dem man sein Risiko beurteilen sollte.

Ja. Es gibt Spitzenwerte beim Auftreten von Borreliose und in gewissem Masse auch von FSME bei jüngeren Menschen, bei Kindern im Alter von 5 bis 14 Jahren. Dies ist unter anderem darauf zurückzuführen, dass sie mehr Zeit im Freien verbringen.

Allerdings verläuft die FSME, wie die meisten Infektionskrankheiten, bei älteren Menschen schwerer. Man kennt den genauen Grund nicht, aber im Allgemeinen haben Kinder und junge Erwachsene ein stärkeres Immunsystem. Zudem reagiert das Immunsystem im Alter nicht mehr so gut auf Infektionen. Das ist ein Teil der Erklärung, aber es gibt sicherlich noch andere unerforschte Mechanismen auf zellulärer Ebene, die eine Rolle spielen. Das Immunsystem ist sehr kompliziert und nicht leicht zu verstehen.

 

Was hat Ihre Studie sonst noch gezeigt?

Eine weitere wichtige Erkenntnis ist, dass die Wirksamkeit des Impfstoffs erstaunlich gut ist. Er schützt sehr langfristig. Wir benötigen nur alle 10 Jahre eine Auffrischung. Allerdings haben wir in unserer Studie festgestellt, dass wir die Grundimmunisierung mit drei Dosen unbedingt abschliessen müssen, um diesen Schutz zu erhalten!

Viele Menschen lassen sich nur eine Dosis verabreichen und machen nicht weiter - aber der Impfstoff ist mit nur einer Dosis sehr viel weniger wirksam. Eine Dosis ist zwar besser als gar nichts, aber es ist wirklich wichtig, dass die ersten drei Dosen alle verabreicht werden.

Auch wenn jemand vor Jahren mit einer oder zwei Dosen geimpft wurde, kann einfach dort weitergemacht werden, wo man aufgehört hat und trotzdem sehr gut auf die nächste Impfung reagieren. Also noch einmal: Es ist nie zu spät!

Gut zu wissen ist auch, dass es bis zum vollen Schutz Zeit braucht. Um genügend Zeit für eine ausreichende Immunreaktion zu haben, wird empfohlen, die ersten beiden Dosen am Ende der Zeckensaison [2] zu erhalten, also im Winter um November und Dezember. Ideal ist es, die zweite Impfung vor der Zeckensaison zu verabreichen. Etwa ein halbes bis ein Jahr nach der ersten Dosis sollte man die dritte Dosis erhalten und dann ist man für die nächsten zehn Jahre gut gerüstet.

 

[2] Zecken werden aktiv, sobald es wärmer wird, die Zeckensaison dauert also von März bis November.

 

 

Gibt es eine Mindestzeit nach der Impfung, nach der man einen gewissen Schutz hat?

Da das Immunsystem sehr kompliziert und jeder Mensch anders ist, lässt sich das nur schwer sagen. Im Allgemeinen dauert die Immunreaktion etwa zwei Wochen bis einen Monat.

Ich würde sagen, dass man nach etwa einem Monat nach der zweiten Dosis so gut reagiert hat, wie es nach der zweiten Dosis möglich ist. Dann muss man ein halbes bis ein Jahr warten, um die dritte Dosis zu erhalten.

 

Ihre Studie ist eine nationale Studie, aber die FSME ist auch ausserhalb der Schweiz und damit für Reisende relevant. Wie kommt das? Können Sie uns etwas über FSME weltweit erzählen?

Das FSME-Virus kommt sowohl in Europa als auch in Asien vor. Die Krankheit kann im Osten bis nach Nordjapan angetroffen werden. Es gibt viele Fälle in Nordchina und in Teilen Russlands sowie im Baltikum ist FSME ebenfalls stark endemisch. Auch in Südschweden und Finnland sowie in Mitteleuropa (Österreich, Tschechien, Deutschland, Schweiz) ist sie inzwischen ein grosses Problem.

Es ist sehr wichtig, die Art der Aktivitäten zu berücksichtigen, denen man auf Reisen nachgehen wird. Wenn Sie sich in bewaldeten Gebieten eurasischer Länder aufhalten werden, sollten Sie eine FSME-Impfung in Betracht ziehen.

Dies ist auch für Reisende in die Schweiz sehr wichtig! Wie ich bereits erwähnt habe, gehört die Schweiz zu den Ländern mit hohem FSME-Vorkommen - wir leben also bereits in einem der grössten Risikogebiete. Wenn Sie Freunde oder Verwandte zu Besuch haben und diese Zeit in der Natur verbringen werden, sollten Sie sie darauf ansprechen.

 

Es macht Sinn, dass die Zecken in Wäldern und in der Natur vorkommen. Ich gehe aber davon aus, dass sie auch in Büschen und Parks in Städten zu finden sind, da es dort genügend Blut gibt, das sie anlockt. «Draussen» schliesst also auch draussen in der Stadt ein.

Ja! Ganz genau.

 

Sind Sie die einzige Gruppe in der Schweiz, die FSME-Forschung betreibt?

Nein, es gibt ein paar Gruppen in der Schweiz, aber es gibt generell nicht viele Leute, die FSME erforschen. Die Gemeinschaft der FSME-Forscher:innen ist klein und die meisten befinden sich in anderen FSME-endemischen Ländern. Es gibt zum Beispiel mehrere Gruppen in Süddeutschland und Österreich, die ebenfalls Endemiegebiete sind und eine lange Geschichte mit FSME haben.

In Österreich zum Beispiel wurde die bevölkerungsweite Impfung in den 1980er Jahren eingeführt und da man dort seit einer ganzen Generation mit dem Thema vertraut ist, liegt die Durchimpfungsrate bei über 80 %. Die Inzidenz ist daher viel niedriger als in der Schweiz. Wir sind hier etwas im Rückstand, aber ich bin zuversichtlich, dass wir es auch noch schaffen werden.

 

Auf welche anderen laufenden oder bevorstehenden Forschungsprojekte möchten Sie uns aufmerksam machen?

Unsere letzte Studie zur Durchimpfungsrate haben wir 2018 durchgeführt. Das war das Jahr, in dem wir sehr viele Krankenhausaufenthalte wegen FSME hatten, es war also in dieser Hinsicht ein schlechtes Jahr. Das führte zu einer grossen Medienberichterstattung, die das Bewusstsein schärfte.

Es war auch der Auslöser für die Änderung der Impfempfehlungen und der Kostenübernahme des Impfstoffs durch die Krankenkassen. Seit 2019 werden die FSME-Impfungen von der Grundversicherung übernommen und in fast allen Kantonen empfohlen.

Wir planen bald eine weitere Studie zur nationalen FSME-Impfquote durchzuführen, hoffentlich im Jahr 2024, um zu sehen, ob die Änderungen der Impfempfehlung die erhoffte Wirkung hatten.

Wir sollten auch nicht vergessen, dass nicht jeder, der dem FSME-Virus ausgesetzt ist (also von einer infizierten Zecke gebissen wird), auch wirklich krank wird. Denken Sie nur an die Bandbreite der Covid-Infektionen. Manche Menschen sind völlig symptomlos, während andere leichte bis schwere Symptome haben oder sogar einen Long Covid entwickeln.

So ist es auch bei FSME. Menschen können infiziert sein, ohne es zu wissen. Aus diesem Grund kennen wir die tatsächliche Verbreitung des Virus nicht.

Deshalb sind wir derzeit sehr daran interessiert, herauszufinden, wie oft Menschen exponiert sind, aber vielleicht einfach nicht krank genug werden, um im Krankenhaus zu landen oder die Diagnose FSME zu erhalten. Wir können dies abschätzen, indem wir bei ungeimpften Menschen Antikörper gegen das FSME-Virus im Blut untersuchen.

Zurzeit arbeiten wir an einer Studie, in der wir die Immunreaktionen auf das FSME-Virus bei Menschen in Zürich untersuchen. Diese Arbeit ist wichtig, um eine bessere Vorstellung über die wirkliche Verbreitung des Virus zu bekommen. Ich glaube auch, dass dies dazu beitragen kann, die Wahrnehmung in der Bevölkerung zu verbessern.

Damit die Menschen sich impfen lassen, müssen sie erst einmal wissen, dass sie gefährdet sind. FSME ist eine schreckliche Krankheit und sie kann verhindert werden. Es ist wichtig, dass wir uns darauf konzentrieren.

 

Eine weitere Krankheit, die durch Zecken übertragen wird, ist das erst kürzlich entdeckte Alongshan-Virus.

Lesen Sie hier unseren Blogbeitrag dazu!

 

Vielen Dank, Frau Dr. Kyra D. Zens!

 

 

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