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«Die Pride ist das Weihnachten der queeren Community»

Das Zentrum für Reisemedizin geniesst schon seit Jahren eine enge Zusammenarbeit mit dem Checkpoint Zürich, einem Gesundheitszentrum für queere Menschen. Lars Wolfer koordiniert dort die Präventionsprojekte und hat uns erzählt, was den Checkpoint so speziell macht und was für die diesjährige Pride alles geplant ist.

«Die Pride ist das Weihnachten der queeren Community»

Das Zentrum für Reisemedizin geniesst schon seit Jahren eine enge Zusammenarbeit mit dem Checkpoint Zürich, einem Gesundheitszentrum für queere Menschen. Lars Wolfer koordiniert dort die Präventionsprojekte und hat uns erzählt, was den Checkpoint so speziell macht und was für die diesjährige Pride alles geplant ist.

Wer bist du und was ist dein Arbeitsfeld?

Mein Name ist Lars Wolfer. Ich arbeite in der Prävention am Checkpoint Zürich. Dort bin ich verantwortlich für die Pride, die STI-Testkampagnen im Frühjahr und Herbst und für die Gesprächsreihe «Checkpoint im Gespräch», in der es um HIV und LGBTQ+ Themen geht.

 

Mein Kollege Chris (Christian Grolimund) koordiniert die mobilen Einsätze unseres Präventionsteams, bei denen unsere Mitarbeiter*innen in Clubs, Bars oder Saunen Outreach Work machen und auch testen. Ein anderes Projekt ist speziell auf Male- und Transsexworker ausgelegt. Und dann gibt es bei uns mit «Queer Plus» ein Peer-to-Peer Programm für Menschen mit HIV.

 

Wurde das Peer to Peer Programm also hier aufgebaut? Wie funktioniert das?

Nach einer HIV-Neudiagnose haben manche das Bedürfnis, mit Anderen zu reden, die auch mit HIV leben. Auf unserer Website gibt es Steckbriefe der Peer-Berater*innen. Du kannst die Person kontaktieren, die dich am meisten anspricht - z.B. im gleichen Alter ist oder eine ähnliche Biografie hat. Für Viele ist es hilfreich, mit jemandem zu reden, der in einer ähnlichen Situation ist.

 

Der Checkpoint ist ein Gesundheitszentrum für queere Menschen. Was heisst das konkret? Seit wann gibt es den Checkpoint? Was bietet ihr an?

Den Checkpoint Zürich gibt es seit über 15 Jahren. Unsere zwei Trägerinnen sind die Sexuelle Gesundheit Zürich SeGZ (ehem. Zürcher Aids-Hilfe) und die Arud, Zentrum für Suchtmedizin. Das Gesundheitszentrum entsprang aus der Community, das heisst, sie wurde von MSM (Männer, die Sex mit Männern haben) konzipiert, weil damals das Bedürfnis nach vertraulicher Behandlung sehr gross war. Ging man als schwuler Mann mit einer Syphilis zum Hausarzt, wurde man oft komisch angeschaut.

 

Der Checkpoint ist ein «Safe Space». Hier wird niemand verurteilt, niemand muss sich für irgendetwas schämen. So bauen wir dieses Stigma ab, indem offen und locker über Sex und STIs gesprochen wird. Mit der Zeit wurde der Checkpoint immer grösser und man hat den Bedarf in der weitergefassten queeren Community erkannt. Deshalb hat man ihn einem breiteren Klientel zugänglich gemacht: der Checkpoint empfängt heute längst nicht mehr nur MSM.

 

Mit der Fachstelle für Transmenschen ist er mittlerweile auch eine wichtige Anlaufstelle für Transmenschen in der Deutschschweiz. Zudem wurden unsere Angebote kontinuierlich erweitert: wir machen nicht mehr nur STI-Testing bzw. Behandlung und HIV-Therapie, sondern haben auch ein umfangreiches Beratungsangebot, bieten professionelle psychologische Beratungen sowie Therapien an und haben neuerdings sogar Hausarztmedizin im Angebot.

 

Leuten, die nicht zur queeren Community gehören, ist die Tragweite eines solchen Gesundheitszentrum möglicherweise nicht immer bewusst. Kannst du mir etwas zur Bedeutsamkeit einer solchen Institution für die queere Community erzählen?

Viele unterschätzen vielleicht die Bedeutung eines «Safe Spaces». Es ist nicht selbstverständlich, dass du vorurteilsfrei willkommengeheissen und behandelt wirst. Queere Menschen fühlen sich bei uns nicht nur wegen unserer akzeptierenden, respektvollen Grundhaltung willkommen, sondern auch, weil hier viele queere Menschen arbeiten. Die Community erkennt sich hier wieder und fühlt sich verstanden. Natürlich sind auch nicht queere Menschen willkommen. Vor allem das Testing auf STIs ist auch bei heterosexuellen Klient*innen beliebt.

 

Macht Sinn, STIs machen vor Hetis[1] natürlich keinen Halt. Kommen da viele?

Es gibt tatsächlich nicht wenige, die das Angebot schätzen und kommen. Im Juni startet das Pilotprojekt B25. Da können sich Menschen unter 26, die in der Stadt Zürich wohnhaft sind oder eine Kultur-Legi besitzen, gratis auf STIs testen und behandeln lassen. Neben dem Checkpoint gibt es dieses Angebot noch im Test-in, der Beratungs- und Teststelle der SeGZ an der Kanzleistrasse.

 

Eine weitere Population, für welche ihr euch einsetzt, sind Sex Worker. Ihr bietet vergünstigt/gratis STI-Tests und Behandlungen für male und trans Sex Workers an. Kannst du uns etwas zu eurem Engagement in diesem Bereich erzählen?

Male und Trans Sex Worker sind eine besonders vulnerable Gruppe, weshalb diese auch besonders betreut werden muss. Wir bieten durch Gassenarbeit niederschwellig Zugang zu Tests und Behandlungen an.

 

Du hast erwähnt, dass Male und Trans Sex Worker anders betreut werden müssen. Wie muss man sich das vorstellen?

Sexarbeit ist Arbeit. Unsere Klient*innen müssen keine Angst vor Vorurteilen haben und erhalten unkompliziert Unterstützung im Bereich der sexuellen Gesundheit. Unsere beiden Mitarbeiter bauen in der Gassenarbeit Vertrauen zu den Sexarbeitenden auf. In der Beratungsstelle Flora Dora an der Langstrasse bieten wir zwei Mal im Monat, gratis Tests und PrEP[2] Beratungen an.

 

Wir haben bereits an einigen Projekten mit euch Zusammengearbeitet. Was kannst du uns dazu erzählen?

Die interdisziplinäre Perspektive und der Austausch von Fachwissen in gemeinsamen Projekten sind fruchtbar für beide Seiten. Zudem erhalten unseren Institutionen mehr Aufmerksamkeit, wenn wir zusammen auftreten. Dadurch wird sowohl die Qualität der Versorgung der queeren Community als auch die Forschung in diesem Bereich gefördert.

 

Wir haben bei der Corona- sowie der Mpox-Impfkampagne zusammengearbeitet. Gegen beides haben wir auch hier am Checkpoint geimpft. Auch mit SwissPrEPared[3] arbeiten wir nach wie vor eng zusammen, was sicherlich zum Erfolg dieses Projekts beigetragen hat. Ich persönlich habe mit dem EBPI[4] an der RealRisks Studie gearbeitet. Es war eine Substudie von SwissPrEPared bei der ich für die Rekrutierung verantwortlich war. Untersucht wurde die Auswirkung von Dating Apps auf die sexuelle und psychische Gesundheit.

 

Ihr seid ja schon seit vielen Jahren an der Pride involviert. Was bedeutet euch und eurer Community dieser Event?

Wir haben schon viel erreicht, aber wenn man das aktuelle politische Klima in der Schweiz und weltweit betrachtet, geht es momentan stark bergab mit der Queerfreundlichkeit. Ich spreche spezifisch von Transfeindlichkeit und den Angriffen auf Drag Queens.

 

Der Community geht es vor allem um Sichtbarkeit, darum, laut zu sein, Raum einzunehmen, Solidarität zu zeigen, zusammenzukommen. Viele lernen sich selber an der Pride kennen, haben danach ihr Outing, fühlen sich endlich zugehörig. Die Pride ist das Weihnachten der queeren Community. Unser anderer Feiertag ist der Eurovision Song Contest. 😉

 

Was hat der Checkpoint geplant für die diesjährige Pride Parade?

Wir haben wieder ein grosses Zelt, in dem wir das Testing anbieten. Und beim Umzug haben wir wie immer einen Wagen.

 

Habt ihr das Testing nicht mal auf dem Wagen angeboten?

Das war 2021, mitten in der Pandemie. Wegen Corona durften wir kein Festival machen, den Umzug gab es aber. Deshalb haben wir kurzerhand einen Truck zu einer mobilen Testing-Einheit umgebaut und vor und nach dem Umzug getestet. Die Kabinen waren mit Duschvorhängen abgetrennt.

 

Das Testing an der Pride ist noch ziemlich beliebt, oder?

Wir testen in der Regel zwischen 300 und 500 Personen.

 

Sind es hauptsächlich junge Pride-Besucher*innen, die zu euch kommen für das Testing?

Ja, letztes Jahr war die Hälfte der Leute zwischen 20 und 29. Für fast einen Drittel aller getesteten Personen war das der erste HIV-Test überhaupt. Wir erreichen an der Pride also auch viele neue Personen. Über zwei Drittel aller getesteten Personen war noch nie im Checkpoint.

 

Ist das Pride Testing der Event, bei welchem ihr am meisten neue Leute erreicht?

Nein, das sind die Kampagnen. Da dürfen wir zwei Mal im Jahr 750 vergünstigte STI-Tests anbieten. Seit zwei Jahren ist es für unter 25-jährige gratis und das zieht natürlich junge Leute an. An der Pride erreichen wir einfach Leute, die wir sonst gar nicht erreichen. Das Festival-Testing ist da noch etwas niederschwelliger.

 

Pride Month steht kurz bevor: was möchtest du, dass alle Feiernden im Kopf behalten?

Trinkt genug und gebt Acht aufeinander.

 

Gibt es andere Organisationen und Zentren für queere Menschen in der Schweiz, von welchen unsere Leser wissen sollten?

Einen Checkpoint gibt auch in Bern, Basel, Luzern, Wadt und Genf. Ansonsten ist auch die Aidshilfe Schweiz eine gute Anlaufstelle, die rund um das Thema HIV informiert, das Pink Cross, also die Dachorganisation der schwulen und bisexuellen Männer in der Schweiz und die Lesbenorganisation Schweiz (LOS), der nationale Dachverband für Lesben, Bisexuelle und queere Frauen in der Schweiz.

 

Für junge Leute interessant ist sicher die Milchjugend, die grösste Jugendorganisation für queere Menschen in der Schweiz, oder auch Du bist Du, eine Jugendorganisation für die LGBT+ Community, die auf dem Peer-Ansatz aufgebaut ist.

 

Bei einer queeren Familienplanung kann der Dachverband Regenbogenfamilien hilfreich sein und für ältere Personen gibt es Queer Altern, ein Wohn-, Pflege- und Betreuungsprojekt.

 

Zum Thema Events fallen mir spontan die Offstream (queeres Partyleben Zürich), der Kweerball und die Heldenbar ein.

 

Vielen Dank Lars für das Gespräch und eine wunderbare Pride wünsch ich euch!

 

[1] Heti: heterosexueller Mensch

[2] PrEP: «Prä-Expositions-Prophylaxe», also ein Medikament, das vor einer HIV-Infektion schützt

[3] Siehe Interview mit Manuela Rasi

[4] EBPI: Institut für Epidemiologie, Biostatistik und Prävention, in welchen das Departement Public & Global Health und somit das Zentrum für Reisemedizin angesiedelt sind

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